„Als ich 1964 nach Vent kam, dachte ich mir: Meine Güte, sind die gut dran. Es gab mehrere Geschäfte. Man konnte im Ort sogar einen Anorak kaufen. Ich stamme aus dem Schnalstal. Wir waren sechs Kinder. Mein Vater war der Wirt der Similaunhütte. Ich habe schon als Mädchen auf der Hütte mitgeholfen. Mit 17 musste ich sie ganz übernehmen, denn der Vater eröffnete ein Wirtshaus am neuen Stausee unten im Tal. Wir sperrten am 9. Februar auf und hatten dann offen bis zum Rosenkranz-Sonntag – das ist der erste Sonntag im Oktober. Auf der Hütte lernte ich Luis kennen, meinen späteren Mann. Er stammte aus Vent, kam zum Skifahren, und konnte die Leute so gut unterhalten. Nach einem halben Jahr haben wir geheiratet – in Schnals, das wollten die Eltern so. Dann sind wir gemeinsam nach Vent gegangen. Vent kam mir damals so groß und lebendig vor.
Zwei Jahre später starb der Schwiegervater und wir haben die „Post“ übernommen. Der Tourismus steckte in den Kinderschuhen. Die Straße von Zwieselstein hinauf zu uns war noch nicht ausgebaut, zu den geraden Stunden sind die Autos hinaus, zu den ungeraden Stunden hinein gefahren. Verwöhnt waren die Gäste nicht. Sie kamen zu viert im VW-Käfer, und das Skizeug war auch noch dabei. Es gab noch keinen Lift. Der kam erst Anfang der Siebzigerjahre. Am Ende jedes Skikurses gingen die Gäste gemeinsam mit dem Skilehrer auf die Similaunhütte, oder wenn ihr Skifahren nicht reichte, hinauf nach Rofen.
Es ist interessant, dass die Gäste, die heute kommen, dasselbe schätzen, was die Gäste damals an Vent gemocht haben: die Ruhe. Dass hier keine Hektik herrscht. Jeder spürt das, der zu uns kommt. Natürlich ist die Zeit nicht stehengeblieben. Die Straße ist längst ausgebaut, das Skigebiet auch. Es gibt mehr Komfort. Wir müssen nicht mehr jeden Schilling umdrehen, so wie wir das in den Sechziger- und Siebzigerjahren mussten. Aber eines ist gleich geblieben: Hier oben bei uns herrscht eine ganz besondere Stimmung, die der Ruhe entspringt.
Ich bin jetzt 79. In die Berge gehe ich immer noch gern. Ich will den Leuten ja erzählen können, wie schön es bei uns ist. Die besten Plätze rundherum kenne ich alle. Ich mag jede Jahreszeit, oder sagen wir so: Ich freue mich immer schon auf die nächste. Im Winter auf den Frühling, im Frühling auf den Sommer undsoweiter. Zwischen Sommer- und Wintersaison sind wir Einheimischen unter uns. Gemeinsamkeit ist ein großes, ein wichtiges Thema. Wenn einer vor dem Haus sitzt, setzt sich immer jemand dazu, dann wird geratscht. Ich wünsche mir, dass es weiter aufwärts geht. Und ganz besonders wünsche ich mir, dass die Jungen ihren Weg finden.“
„Bei uns herrscht eine ganz besondere Stimmung, die der Ruhe entspringt.“ Adolfine Pirpamer, frühere Hütten- und „Post“-Wirtin